Asunción, die Hauptstadt Paraguays, hat viele Gesichter. Da gibt es den Stadtkern mit seinen teilweise liebevoll restaurierten Kolonialstil-Häusern und es gibt die unzähligen Stadtviertel, die sich daran anschließen. Armenviertel, bessere Viertel, gute Viertel, und Reichenviertel reihen sich aneinander.
Von der herrschaftlichen Villa mit gepflegtem Park bis zur elenden Hütte am Rande eines stinkenden Abwasserkanals, von glitzernden Einkaufstempeln mit europäischem Preisgefüge bis mickrigen und billigen Tante-Emma-Läden, von Gourmet-Restaurants bis zu Lomito-Buden ist alles vorhanden. Nur an einem hapert es, nämlich an öffentlichen Toiletten. Ein landesweites Problem.
Dem Einwanderer, der zum ersten Mal eine paraguayische Stadt besucht und die unzähligen Straßenhändler, Straßenkinder, Marktbetreiber usw. sieht, drängt sich unweigerlich die Frage auf, wo all diese Menschen ihre Notdurft verrichten. Nach kurzer Überlegung kommt er zu der Einsicht, dass dies wohl in den Toiletten der vielen Kaufhäuser geschieht. Dies trifft jedoch nur teilweise zu, da mittlerweile zwar unzählige Kaufhäuser existieren, die auch mit sanitären Einrichtungen ausgestattet sind, jedoch unmöglich diese Menschenmassen bewältigen können.
Dem Besucher, der auf Schusters Rappen die Gegend erkundet, wird schnell klar, dass seine erste Annahme falsch war. Er wird naserümpfend seine Schritte beschleunigen, da der Amoniakgestank in manchen Gegenden so unerträglich ist, dass nur die Flucht nach vorn den malträtierten Geruchsnerven Rettung verspricht. Nase zuhalten ist kein guter Tipp, da der Weg in bessere Gefilde meist zu lang und mit Menschen, die den Fluchtweg behindern, zu voll gestopft ist und der Läufer somit während der Flucht vor dem beissenden Gestank ersticken würde. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als möglich flach zu atmen und möglichst koordiniert das verseuchte Terrain zu verlassen.
Die wenigen öffentlichen Toiletten, wie unter der Brücke im Asuncióner Stadtteil Cuatro Mojones (Bild) reichen nicht aus und werden gar ignoriert, obwohl große Hinweispfeile den Weg weisen, der aber oftmals zu lang ist, wie es scheint, weshalb der nächste Baum herhalten muss. Die männlichen Bewohner Paraguays scheinen ganz besonders unter dem Phänomen schwache Blase zu leiden, denn sie pinkeln wo sie sich gerade befinden. Der Griff in den Hosenschlitz ist so selbstverständlich, dass sich niemand darüber empört.
Besonders Taxifahrer gehören zum Typ Mann, der unbedingt sein Terrain markieren muss. Wer kennt ihn nicht, den beißenden Geruch, der sich kontinuierlich verstärkt, je weiter man sich einem Taxistand nähert. Besonders dann, wenn sich ein Grasflecken, eine Mauer oder gar Bäume in unmittelbarer Nähe befinden.
Alle öffentlichen Freilufteinrichtungen wie Parks, Sportplätze usw., werden vom männlichen Publikum automatisch als öffentliche Toilette angesehen. Selbstverständlich ist dies nicht nur eine Unsitte der Stadtbewohner, sondern man findet diese Handlungsweise im gesamten Land. Wo eine Mauer, ein Park, ein Baum, eine Hauswand o.ä. existiert, steht auch der charakteristische Duft in der Luft, gnadenlos von der tropischen Hitzeglocke am Entweichen in höhere Sphären gehindert.
Dem „Ruf der Natur“ muss gefolgt werden, doch es fehlt überall an öffentlichen Toiletten. Die Mauern, die in Europa mit kunstvollen Malereien oder Reklameplakaten verziert werden, tragen in Paraguay meist eine Aufschrift mit großen Buchstaben, die den Lesekundigen bittet, nicht gerade hier zu urinieren.
Kürzlich setzten sich die Anwohner eines besonders betroffenen Viertels zusammen und beratschlagten die zum Himmel stinkende Situation. Ihre Gartenmauern hatten durch die andauernde Feuchtigkeit Schaden genommen. Eine Besserung war nicht abzusehen, da statt der drei in unmittelbarer Nachbarschaft bereits bestehenden Kneipen noch drei weitere hinzu gekommen waren, die alle über keine sanitären Einrichtungen verfügten und somit die Biertrinker zwangen, ihre Notdurft an den Mauern der umliegenden Häuser zu verrichten.
Nach mehreren Zusammenkünften war den Nachbarn klar, dass nur eine Eigeninitiative zum gewünschten Erfolg führen würde. Sie sammelten Geld und stellten sechs Klohäuschen an den strategisch wichtigsten Punkten auf. Dies wiederum war der Stadtgemeinde ein Dorn im Auge. Mit der Begründung „das Allgemeinbild der Stadt werde durch diese unansehnlichen Mobil-Toiletten empfindlich gestört“ musste die Anti-Gestank-Aktion abgebrochen werden.
Die intelligenteste Erklärung für die lächerlich wenigen öffentlich zugänglichen Toiletten im Raum Asunción lieferte ein Stadtratsabgeordneter. Er gab allen Ernstes folgendes zum besten: „Würden alle Menschen ihre Notdurft auf einer Toilette verrichten, hätten wir bald ein unlösbares Wasserproblem. Die Wasserverschwendung, die durch einen einzigen Toilettengang stattfindet, ist nicht zu verantworten“.
Vor dem Verlassen des Hauses fragt jede Mutter ihr Kind, ob es auf der Toilette war. Kinder, die im Schlaf ihr Bett einnässen müssen sich auf eine Strafpredigt gefasst machen. Sie fragen sich, warum das so schlimm ist, während Erwachsene ungestraft die gesamte Umgebung einnässen dürfen. In einer T.V.-Sendung wurden Kinder zwischen 5 und 10 Jahren gefragt, ob sie sich darauf freuen erwachsen zu werden und was sie für Pläne für ihre Zukunft als Erwachsene haben. Ein 5-jähriger gab zur Antwort, dass er sich darauf freue alt genug zu sein um Bier trinken zu dürfen, damit er dann auch überall „Pippi“ machen könne.
Diese Antwort hatte einen landesweiten Heiterkeitsausbruch zur Folge. Keiner der verantwortlichen Politiker fragte sich jedoch wie ein so kleines Kind so präzise den Nagel auf den Kopf treffen kann. Und niemand schämte sich dafür, dass er in einem Land lebt, wo hemmungslos in der Öffentlichkeit gepinkelt werden darf, solange man einen vorangegangenen Biergenuss nachweisen kann.
Was das obige Foto betrifft, kann man nur sagen, dass da wohl guter Wille im Spiel war, jedoch ein einziges einsames Urinal der paraguayischen Mentalität so ganz und gare nicht entgegen kommt, da der Spruch „Der Paraguayer pinkelt niemals allein“ auch heute noch seine Gültigkeit nicht verloren hat.
Autorin: Christine Bram Bild: abc color
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